Menschen arbeiten anders als vor 50 Jahren. Nicht nur die Bedingungen, auch der Anspruch an Arbeit haben sich enorm verändert. Der Begründer des „New Work“ Frithjof Bergmann stellte sich schon in den 70er Jahren einen radikalen Wandel hin zu mehr persönlicher Selbstentfaltung in der Arbeitswelt vor. Wie weit sind wir gekommen, wo geht es hin?
Es hört sich an wie ein Versprechen – New Work; die neue Arbeitswelt. Der von Frithjof Bergmann geprägte Begriff ist wieder in aller Munde. Er taucht vor allem in Zusammenhang mit alternativen Arbeitsmodellen, Arbeitsorganisation und Mitarbeiterführung auf: Maßnahmen wie das Ende von strikten Arbeitszeiten und einem festen Arbeitsort, das Aufweichen der 40-Stunden-Woche oder die Einführung von transparenten Gehaltsstrukturen finden mehr und mehr Eingang in Unternehmensführung und Projektmanagement. Bergmann wünschte sich bereits in den 70er Jahren die Möglichkeit für mehr Flexibilität und Selbstentfaltung in der Arbeitswelt und startete eine schon damals erfolgreiche Bewegung, gründete sogar ein Beratungszentrum für Neue Arbeit. Dieser Wunsch scheint derzeit näher an seiner Erfüllung und gleichzeitig kompromittierter zu sein denn je.
Die Idee des New Work
New Work beschreibt gleichzeitig eine Entwicklung und eine Vision. Der Begriff verweist zunächst auf sein Antonym, das „old work“, und damit den Wandel in der Arbeitswelt in den letzten 50 bis 100 Jahren. Nachdem die industrielle Revolution den Kapitalismus wie wir ihn heute kennen erst möglich und die Arbeitswelt komplett umgekrempelt hat, bestimmen Globalisierung, Digitalisierung und der demografische Wandel das heutige Wirtschaften. Die neuen Technologien ersetzen ganze Berufe; durch Automatisierung und die Industrie 4.0. wird viele, bisher wichtige menschliche Arbeit überflüssig. Arbeit muss sich infolgedessen anders ausrichten, neu orientieren.
New Work deutet auf eine mögliche Zukunft, eine Utopie hin. Bergmanns Vision von New Work stützte sich auf eine tiefgreifende Veränderung der Arbeitswelt. Er war überzeugt, dass Menschen Freiraum brauchen (und ihn sich unter den veränderten Bedingungen nun auch nehmen können), um herauszufinden, was sie wirklich tun möchten. Arbeit erhält eine vorwiegend sinnstiftende Funktion. Mittel und Zweck werden umgekehrt. Der Mensch dient nicht mehr als Werkzeug zur Verrichtung von Arbeit, sondern Arbeit ist das Mittel zur Verwirklichung des Zwecks menschlicher Selbstentfaltung. Bergmann beschreibt es so:„Nicht wir sollten der Arbeit dienen, sondern die Arbeit sollte uns dienen.“ Zu spüren ist diese Entwicklung längst. Der Wert von Arbeit als Indikator für ein gelungenes, erfülltes Leben steigt immer mehr an. Arbeit wird zum Selbstzweck und Glücksgarant für ein tendenziell urbanes, sendungsbewusstes, privilegiertes Milieu.
New Work als neue Unternehmensphilosophie
Bergmanns ziemlich radikale Vision inspirierte in der Praxis eine Vielzahl von alternativen Arbeits- und Organisationsmodellen. Sie können Auswirkungen auf die Ausgestaltung der Arbeitsorganisation an sich oder aber auf die Kommunikation und Unternehmensstruktur haben. Viele Unternehmen schreiben sich New Work als Motto auf die Fahne und versuchen neue, innovative Wege zu gehen. Sie wollen eine flexiblere, familienfreundlichere Organisation von Arbeit. Agilität ist hier oft das neue Stichwort: Flache Hierarchien, Transparenz und veränderte Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen. Sowohl selbstbestimmtes Handeln als auch die Demokratisierung von Entscheidungsstrukturen wird etwa mit alternativen Organisationsmodellen wie Holokratie und Soziokratie erprobt. Zu dieser Entwicklung gehört beispielsweise auch, dass Diversity und heterogene Teams in der Organisationspsychologie als produktivitätsfördernd erkannt und im HR-Management zunehmend berücksichtigt werden.
Frederic Laloux ist einer der bekanntesten Vertreter, der für die Umformung von Organisationen eintritt. In seinem Buch “Reinventing Organizations” hat er Unternehmen gesucht, die neue Organisationsformen und Managementansätze erproben. Er wollte herausfinden, was diese Unternehmen von anderen unterscheidet. Sein Fazit: Sie basieren auf Vertrauen, statt Kontrolle. Verantwortung wird verteilt, wodurch die Selbstkontrolle greift.
Eine sich aufdrängende Kritik ist, dass New Work zu einer reinen Marketingstrategie verwässert und Unternehmen das Konzept einer innovativen und agilen Mitarbeiterpolitik lediglich nutzen, um ihr Unternehmen am Markt produktiver und wirtschaftlich erfolgreicher zu machen. Man könnte meinen, hier werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, wenn auch die Mitarbeiter von den neuen Maßnahmen profitieren. Jedoch wird vor allem die Flexibilisierung der Arbeitswelt nicht durchweg als positiv begriffen.
Das Ende von sicheren Arbeitsverhältnissen (und stringenten Erwerbsbiografien), die zunehmend geforderte Risikobereitschaft, Mobilität und Kreativität setzt Arbeitnehmer heute stark unter Druck. Dass Arbeit ein immer höherer Stellenwert in der Sinnstiftung zugewiesen wird, tut ihr Übriges dazu. Schon Ende der 90er Jahre hat der Soziologe Richard Sennett dieses Phänomen in seinen Büchern „Der flexible Mensch“ und „Die Kultur des neuen Kapitalismus“ kritisch untersucht. Die neue Arbeitswelt ist für ihn nur eine neue Form des Kapitalismus mit einer neuen Form der Ausbeutung. Der Kontrollverlust, den die neue Freiheit automatisch hervorruft, mündet für ihn in mehr Orientierungslosigkeit, Unsicherheit und mehr Ungleichheiten.
Frithjof Bergmann sieht mittlerweile seine ursprüngliche Idee in Gefahr. Der Freiraum, den er ersann, beschränkte sich nicht allein auf Gleitzeitmodelle oder neue Mitbestimmungsrechte für Mitarbeiter, sondern er sollte ein umfassendes Experimentieren mit Kompetenzen, Wünschen und neuen Arbeitswegen ermöglichen. Als Bewältigungsstrategie für die Risiken und Flexibilisierung der neuen Arbeitswelt werden bspw. die Rufe nach einem Grundeinkommen immer größer. Das kapitalistische Verteilungsproblem bleibt, aber das Grundeinkommen würde Raum für kreative Nischen zur Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse und zu einer nachhaltigen Weiterentwicklung der Gesellschaft geben.