Es waren einmal zwei Babys im Mutterleib. Das eine fragte das andere: „Glaubst du an ein Leben nach der Geburt?“ Das andere antwortete: „Warum? Natürlich! Da muss es etwas nach der Geburt geben. Vielleicht sind wir hier, um uns auf das vorzubereiten, was später sein wird.“
„Unsinn.“ sagte das erste. „Es gibt kein Leben nach der Geburt. Was sollte das für eine Art von Leben sein?“ Das zweite sagte: „Ich weiß nicht, es wird mehr Licht geben als hier. Vielleicht werden wir mit unseren Beinen laufen und mit unseren Mündern essen. Vielleicht werden wir andere Sinne haben, die wir jetzt noch nicht verstehen können.“ Das erste antwortete: „Das ist absurd. Laufen ist unmöglich. Und mit unseren Mündern essen? Lächerlich! Die Nabelschnur ernährt uns und gibt uns alles, was wir brauchen. Die Nabelschnur ist viel zu kurz. Also ist ein Leben nach der Geburt logischerweise ausgeschlossen.“
Das zweite Baby beharrte: „Also ich denke, da draußen ist etwas und vielleicht ist es anders als hier. Vielleicht brauchen wir die Nabelschnur dort gar nicht mehr.“
Das erste Baby: „Unsinn! Und außerdem, wenn es dort Leben gibt, warum ist dann nie jemand von dort zurück gekommen? Die Geburt ist das Ende des Lebens.“
„Nun, ich weiß es nicht,“ sagte das zweite, „aber sicher werden wir Mutter treffen und sie wird auf uns aufpassen.“
Das erste antwortet: „Mutter? Du glaubst tatsächlich an Mutter? Das ist lachhaft. Wenn Mutter existiert, wo ist sie dann jetzt?“
Das zweite sagte: „Sie ist überall. Wir sind von ihr umgeben. Wir sind aus ihr. Nur durch sie können wir leben. Ohne sie würde und könnte diese Welt nicht existieren.“
Da sagte das erste: „Also ich sehe sie nicht, daher ist es nur logisch, dass sie auch nicht existiert.“
Daraufhin erwiderte das erste: „Manchmal, wenn du in Stille bist und dich fokussierst und wirklich hinhörst, kannst du ihre Präsenz spüren, und du kannst ihre liebevolle Stimme hören, die uns von oben zuruft.“Henri J. W. Nouwen
Die Analogie ist klar: Hier diskutieren zwei Babys, ob es etwas nach der Geburt gibt und sie sind einigen Beschränkungen unterworfen etwas über die nachgeburtliche Welt zu wissen oder in Erfahrung zu bringen. Diese Beschränkungen weisen Ähnlichkeiten mit unseren auf, die verhindern, dass wir etwas über die Welt nach dem Tod erfahren können. Die Frage lautet: Sind wir in einer analogen Situation wie die Babys? Das heißt, gibt es ein Leben oder überhaupt etwas nach dem Tod? Und sind unser Verstand und unsere Sinne zu begrenzt, um etwas über diese Welt wissen zu können? Oder gibt es sie schlichtweg nicht?
Die Bevölkerung ist gespalten
Kant hat das als philosophische Grundfrage thematisiert, ob es eine unsterbliche Seele gibt oder nicht (neben der Frage nach Gott und der Willensfreiheit). Weiter runtergebrochen stellt sich natürlich vielen Menschen die Frage, ob es überhaupt eine Seele gibt. Laut einer repräsentativen Umfrage glauben in etwa 50% der Deutschen an ein Leben nach dem Tod. Rund 40% der Menschen glauben, dass nach dem Tod nichts mehr kommt. Wir sind in dieser Frage also ziemlich gespalten, aber nach dem Satz des ausgeschlossenen Dritten kann nicht beides wahr sein, es sei denn, dass für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Todesarten „gelten“. Also zum Beispiel, dass der eine in den Himmel kommt, der nächste reinkarniert und für den dritten nach dem Tod tatsächlich einfach nichts ist.
Welche Relevanz hat die Frage eines Lebens nach dem Tod?
Wenn man aber davon ausgeht, dass für alle Menschen ein und dieselbe Todesart gilt, dann schließen sich ein Leben nach dem Tod und das bloße Nichts gegenseitig aus. In diesem Fall kann nur eines davon wahr sein. Aber zunächst möchte ich kurz noch nach der Relevanz dieser Frage fragen. Für meine Begriff ist es so, dass man als Mensch, der glaubt, nach dem Tod kommt nichts, ebenso ein gutes Leben führen kann, wie als Mensch, der an eine unsterbliche Seele glaubt, ein schlechtes. Von daher ist diese Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt im Grunde genommen für unser praktisches Handeln irrelevant und befriedigt zunächst einmal lediglich unsere intellektuelle und weltanschauliche Neugier.
Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die nahestehende Menschen verloren haben und sehr darunter leiden. Sie können viel Trost in der Vorstellung finden, dass ihre Angehörigen nicht einfach weg sind, sondern dass sie nun an einem besseren Ort sind, oder dass sie wieder reinkarnieren. Insofern besitzt diese Frage zwar keine unmittelbare praktische Relevanz, aber auf jeden Fall eine psychologisch-therapeutische für die Hinterbliebenen!
Können wir etwas über den Tod wissen?
Als Leser dieser Geschichte befinden wir uns in einer privilegierten Situation: Wir wissen, dass wir nach der Geburt weiterleben, dass ein Leben ohne Nabelschnur möglich ist, dass wir unserer Mutter begegnen und wir verstehen auch, warum nie ein Baby zurückgekehrt ist. In Bezug auf unseren eigenen Tod haben wir diese privilegierte Perspektive nicht. Und viele würden auch sagen, dass niemand solch eine Perspektive besitzt, weil uns der Tod so oder so vom Leben trennt und das absolut radikal. Auf philosophischer Ebene würde man hier von einem Dualismus zweier sich gegenseitig ausschließender Prinzipien sprechen. Auf der einen Seite der Tod, auf der anderen das Leben.
Andere Philosophien würden Leben und Tod nicht als getrennte Prinzipien, sondern als zwei Teile eines größeren Ganzen verstehen. Dementsprechend tauchen in der Menschheitsgeschichte immer wieder Berichte und Dokumente auf, die behaupten, nah an die Grenze zum Tod gekommen zu sein oder gar, sie überschritten zu haben. Eines der wichtigsten Dokumente in diese Richtung ist wohl das tibetische Totenbuch, welches den Prozess des Sterbens beschreibt und gewissermaßen eine Anleitung ist, wie man in der Erfahrung des Todes Erleuchtung findet (zu diesem Zwecke wurde es dann den gerade Verstorbenen vorgelesen, da man glaubte, dass der ätherische Leib des Verstorbenen zunächst in der Nähe bleibt). Ein weiteres Beispiel ist das ägyptische Totenbuch, welches Zaubersprüche enthielt, um dem Verstorbenen in die göttlichen Gefilde zu helfen.
Und auch in der europäischen Philosophie gibt es solche Berichte. An prominenter Stelle steht er am Ende von Platons „der Staat“, welches eines seiner einflussreichsten und wichtigsten Werke ist. Dort beruft er sich auf einen Bericht eines Verstorbenen, der dann auf wundersame Weise wieder ins Leben gekehrt sei, und beschreibt dann die Vorrichtung, die entscheidet, wie und als wer welche Menschen reinkarnieren, bzw. ob sie zurück in die Hölle müssen, oder in den Himmel dürfen.
Die Skeptiker: Nach dem Leben ist Nichts
Aber die Skepsis bezüglich des Lebens nach dem Tode ist zumindest ebenso alt. Hier ist in der europäischen Philosophie Epikur zu nennen, der die Existenz einer vom Körper unabhängigen Seele bestritt, und der Auffassung war, dass nach dem Tod nichts sei. Durch diese Auffassung ist auch folgendes Zitat von ihm berühmt geworden:
„So ist also der Tod für uns ein Nichts. Solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr da. Folglich betrifft er weder die Lebendigen noch die Gestorbenen.“
Auch Nietzsche lehnte die Vorstellung eines Lebens nach dem Tode ab, insbesondere weil sie dazu führe, dass man das diesseitige Leben um des jenseitigen willen verachtet. Deswegen bezeichnet er diejenigen, die an eine übersinnliche Welt glauben geringschätzig als „Hinterweltler“, die für ihn Nihilisten sind, da sie lebens- und leibfeindlich gesinnt sind.
Problematisch an der Vorstellung des Nichts nach dem Tode ist in meinen Augen, dass sie unwiderlegbar ist. Denn wie sollten wir herausfinden, ob nach dem Tode nichts ist? Wir sind ja als Forschende selbst immer Seiende, können (jetzt mal naiv gesagt) also nicht in das Nichts eintreten, und schauen ob die Verstorbenen da nicht „sind“. Des weiteren ist die argumentative Grundlage fragwürdig. Denn wenn es stimmt, dass der Geist nur ein Produkt der Materie bzw. Interaktionen der Materie untereinander ist, dann ist der Geist und unser Bewusstsein streng genommen eine Illusion, und wir wären in diesem Augenblick gar nicht lebendig, weil die Materie, auf die alles zurückzuführen ist, selber tot ist. Wir wären gewissermaßen nur biologische Roboter. Aus diesen Gründen teile ich persönlich diese gängige materialistisch-nihilistische Weltanschauung nicht.
An der Grenze zum Tod: Nahtoderfahrungen
Jedenfalls sieht man, dass die Frage des Lebens nach dem Tode die Gemüter der Menschen schon lange bewegt. Und dies tut es auch aktuell, wenn man sich zum Beispiel den Bestseller von Alexander Eben „Blick in die Ewigkeit: Die faszinierende Nahtoderfahrung eines Neurochirurgen“ anschaut. Auf großes Interesse stoßen auch Berichte von Nahtoderfahrungen auf Youtube. Hierzu gibt es einen Kanal, den ich empfehlen kann und zwar die „Empirische Jenseitsforschung“. Hier werden einfach Interviews mit Menschen geführt, die eine Nahtoderfahrung erlebt haben und nun davon berichten. Hier stößt man auf eine Fülle von unterschiedlichen Erfahrungen, die dennoch stets gewisse Ähnlichkeiten aufweisen.
Wie man solche Erfahrungen nun beurteilt, ist natürlich nochmal eine große Herausforderung. Nicht ernstlich bestreiten kann man jedenfalls, dass Menschen solche Erfahrungen machen. Die Frage ist nur, ist das, was sie erleben Realität oder Traum/Halluzination? In der Geschichte mit den beiden Ungeborenen steht das, was ein Leben nach der Geburt bestreitet in unseren Augen als das Dumme oder zumindest als das Fantasielosere da, wodurch die Geschichte oder die Parabel eine subtile Wertung enthält: das nämlich diejenigen der nunmehr Geborenen, die ein Leben nach dem Tod für unmöglich halten, genauso fantasielos sind.
Ich denke allerdings, dass es gute Gründe gibt, an diese Thematik skeptisch und zumindest mit einer gewissen Vorsicht heranzugehen. Der erste besteht in der jahrhundertelang propagierten Leib- und Sexfeindlicheit der Kirche (also Nietzsches Argument). Als eigenständig denkender Mensch sollte man sich nicht auf eine Seite ziehen lassen. Außerdem sind Menschen unterschiedlich und machen dementsprechend auch unterschiedliche Todeserfahrungen. Und auch wenn in den Nahtodberichten immer von einem als wunderschön erlebten Licht die Rede ist, ist ja nicht sicher, ob es sich tatsächlich um ein und dasselbe Licht handelt (geschweige denn, ob es eine Art Traum oder Halluzination ist). Außerdem haben diese Menschen die Grenze des Todes nicht überschritten, wir wissen also nicht, was danach passiert.
Ein Leben nach dem Tod auf der Erde: Reinkarnationen
Soviel zu den Nahtoderfahrungen. Noch wesentlich interessanter dürften aber die Forschungen von Ian Stevensson und Dieter Hassler sein. Er hat ebenfalls empirisch nach Fällen gesucht, in denen Kinder behaupteten, sich an frühere Leben erinnern zu können. Von solchen Berichten hat er im Laufe der Zeit einige tausend gesammelt. Und nun hat er nach Fällen gesucht, in denen Kinder nicht nur glauben, früher schon einmal gelebt zu haben, sondern die auch überprüfbare Aussagen über ihr früheres Leben getätigt haben (etwa, wo sie gelebt haben, mit wem, was die Ursache ihres Todes war und so weiter … ). Und tatsächlich gab es Fälle, wo die Aussagen mit der Realität des früheren Lebens übereinstimmten. In einigen Fällen sind die Anzahl und die Art der korrekten Aussagen über das frühere Leben derart überwältigend, dass ausgeschlossen werden kann, dass das Kind das aus dem Fernsehen oder aus Gesprächen von Erwachsenen zusammenfantasiert hat.
Natürlich sollte man sich, wenn einen das interessiert, ein eigenes Bild machen und das kritisch rezipieren. Ich selber bin durch diese Forschungen aber zu dem Schluss gekommen, dass es eine Entität gibt, die über den physischen Körper hinaus Informationen über das individuelle Leben enthält. Diese Entität würde man im Allgemeinen wohl als Seele bezeichnen. Mir schienen die Gegenargumente gegen Stevenssons Forschungen im Vergleich zu den bemerkenswerten Fällen reinkarnierter Kinder eher schwach. Zugleich sind seine Forschungen für mich das stärkste Argument für die Existenz einer Seele. Aber auch hier sollte man nicht voreilig ableiten, dass das heißt, dass jeder Mensch reinkarnieren muss geschweige denn, dass jeder Mensch eine Seele hat! Die Frage ist, ab wann man von Einzelfällen auf die Allgemeinheit schließen kann. Und nach wie vor bleibt in meinen Augen noch eine ganze Reihe von Fragen offen…
Der Standpunkt der Nicht-Getrenntheit
Zuletzt noch eine philosophische Bemerkung. Weiter oben habe ich gesagt, dass sich das Sein nach dem Tode und das Nichts nach dem Tode ausschließen. Aber im Grunde genommen nehme ich hier einen monistischen Standpunkt ein, d.h. dass die Wirklichkeit Eins ist und würde sagen, dass durchaus beides möglich ist. Das Sein schließt das Nichts zwar aus, aber das Sein stört das Nichts auch nicht, weil es ja kein Sein ist. Und anders herum besteht dasselbe Verhältnis. Mit anderen Worten würde ich die buddhistische Weltanschauung teilen, dass es zwar Reinkarnation gibt (oder zumindest möglich ist), dass das Ich aber dennoch nicht real ist.
Das bedeutet, dass das Nichts oder die Leere (Sanskrit: shunyata) oder das Nirvana (Verlöschen) ebenso eine Realität ist, wie das Sein, die Fülle oder Samsara (der Kreislauf der Existenzen und Phänomene). Insofern kommt nach dem Tode tatsächlich Sein und Nichts. Beziehungsweise sind Samsara und Nirvana schon in diesem Augenblick beide real und nicht getrennt voneinander zu denken!