Über schöpferische Zerstörung und Kapitalismus bei Schumpeter

Kreativität und Zerstörung stehen in meinen Augen in einem engen Zusammenhang, denn: wenn ich aus alten Strukturen und Mustern heraus etwas zu schaffen versuche, kann am Ende auch nur etwas dabei herauskommen, was diesen alten Strukturen entspricht. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich wahre Kreativität nur dann ereignen kann, wenn ich mich von diesen alten Strukturen löse. Mit anderen Worten: das Alte muss zerstört werden, damit das Neue Einzug halten kann. Das gilt auf jeder Ebene.

Schöpferische Zerstörung als Merkmal des Kapitalismus

Schöpferische Zerstörung ist daher nicht nur ein Wortpaar aus der Kunstgeschichte, sondern tatsächlich eine zentrale Wendung aus Schumpeters wichtigem wirtschaftswissenschaftlichen Werk „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“. Es ist darüber hinaus sogar das Merkmal des Kapitalismus:
„Die Eröffnung neuer, fremder oder einheimischer Märkte und die organisatorische Entwicklung vom Handwerksbetrieb und der Fabrik zu solchen Konzernen wie dem U.S.-Steel illustrieren den gleichen Prozess einer industriellen Mutation — wenn ich diesen biologischen Ausdruck verwenden darf —, der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft. Dieser Prozess der »schöpferischen Zerstörung« ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum. Darin besteht der Kapitalismus und darin muss auch jedes kapitalistische Gebilde leben.“

Joseph Schumpeter

Führen Sie sich vor Augen, was das bedeutet! Einer der wichtigsten Wissenschaftler zum Thema Wirtschaft sagt hier, dass die Zerstörung wesentlicher Motor für die kapitalistische Entwicklung ist! Was also modern und etwas beschönigend Innovation genannt wird, hat immer die Kehrseite, dass durch sie bestehende Strukturen vernichtet werden. Das muss natürlich nicht immer schlecht sein, sondern kann, im besten Fall, tatsächlich viel Leid ersparen und viel Glück bescheren. Dennoch bleibt Zerstörung ein Merkmal, welches in die DNA des Kapitalismus eingeschrieben ist. Das bedeutet vor allem, dass der Kapitalismus zwar einige wenige Gewinner generiert, die auf das richtige Neue gesetzt haben, aber eben auch viele Verlierer, die sich an das Althergebrachte halten (müssen).

Der Kapitalismus braucht Kreativität

 

Der Kapitalismus ist jedoch tatsächlich in seiner Zerstörung auch extrem kreativ. Innovation ist ein Wettbewerbsvorteil und hat daher tatsächlich im System einen besonderen Stellenwert. Daher geht es nicht nur um Angebot und Nachfrage, sondern der Kapitalismus entwickelt an gewissen Zeitpunkten eruptiv, in Sprüngen. Von Zeit zu Zeit gibt es (neben schleichenden Neuerungen) Innovationen, die mit einem Mal die ganzen Regeln des Geschäftes über den Haufen werfen. Und eben weil der Kapitalismus derart kreativ ist, verwundert es auch nicht, dass die Arbeitnehmer in neoliberalen Ländern wie Deutschland oder der USA bereits sehr kreativ sind, wie ich hier in diesem Blog schon beschrieben habe.

Im übrigen kommt Marx, dessen Analyse von Schumpeter sehr geschätzt wird, ebenfalls zu einem ähnlichen Schluss: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seine natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ‚bare Zahlung‘. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt.“

Die große Transformation und ihre Schwierigkeiten

In diesem Kontext gibt es für die Arbeit von Pikok zwei Gedanken, die ich äußern möchte. Erstens befinden wir uns nach wie vor in diesem Prozess der schöpferischen Zerstörung und können uns dem nicht nur nicht entziehen, sondern durch unsere Mission, der „großen Transformation“ auf die Sprünge zu verhelfen, werden wir auch dazu beitragen, dass wir Leute hinter uns lassen, die diese Transformation nicht haben möchten und daher werden wir, bei einer ernsthaften, konsequenten Verfolgung dieser Idee, auch mit Widerständen rechnen müssen. Der zweite Gedanke bezieht sich auf Spiral Dynamics, denn was Marx und Schumpeter hier beschreiben, ist letztlich das Emergieren von rationalistischem, kapitalistischem Orange aus autoritärem, aber „idyllischem“ Blau.

Und beide sind der Ansicht, dass der Kapitalismus enden muss, wenn wir aus dem Orange in das Grün, was sich bei beiden dann Sozialismus oder Kommunismus nennt, gelangen wollen! Das bedeutet, solange Gewinnmaximierung und nichts als die „bare Zahlung“ zwischen den Menschen regiert, eine höhere Form der Gemeinschaft von vornherein unmöglich ist. Grüne Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen können hierfür eine Hilfe sein, scheitern aber zunächst an der strukturellen Realität des kapitalistischen Wirtschaftens.

Zerstört sich der Kapitalismus selbst?

Das was einer großen Transformation zur Hilfe kommen könnte, ist unter Umständen der Kapitalismus selber. Schumpeter jedenfalls geht davon aus, dass sich der Kapitalismus am Ende selbst zerstören wird, aus zwei Gründen. Der erste ist, dass sich der Unternehmer, der Innovationen einführt, zunächst noch moralisch für sein Unternehmen verantwortlich fühlt, d.h. die Qualität und den Preis für den Kunden verbessert. Sobald das Unternehmen über eine gewisse Größe hinauswächst, treten Manager auf den Plan, die dieses Verantwortungsgefühl nicht mehr haben. Ihnen gehört das Unternehmen zwar, aber sie führen es nicht mehr, sondern verwalten es nur noch für den Profit und sind eigentlich austauschbar. Diese These ist durchaus berechtigt, etwa wenn man sich anschaut, in was für Aufsichtsräten allein ein Friedrich Merz saß.

Der zweite Grund ist, dass durch die allgemeine Bildung, die der Kapitalismus ermöglicht hat, die Klasse der Intellektuellen entsteht, die in der Lage sind, die Strukturen, in denen sie sich befinden, zu verstehen und stellvertretend moralisch empfinden zu können und etwa für die Rechte der Arbeiterklasse oder von Minderheiten eintreten können. Die Klasse der Intellektuellen ist mit der Gesamtsituation unzufrieden und regt die Mehrheit der Bevölkerung zu Protesten an, was mit zum Sturz des Kapitalismus beiträgt.

Der Planet, auf dem wir Gast sind, hat Grenzen

Ich denke, Schumpeter hat mit beiden Thesen recht, aber womöglich unterschätzt er die Wandlungsfähigkeit des Kapitalismus. Erstens besuchen jetzt Manager und Industriedesigner Seminare zum Design-Thinking, in welchen sie eben versuchen, die Qualität zu verbessern und zweitens bindet der Kapitalismus die Unzufriedenheit der Intellektuellen allmählich mit ein, selbst wenn es sich nur um Greenwashing handelt. Es wird wenigstens versucht, sich den Anschein von Integrität zu geben. Daher würde ich eher folgende Hypothese in dem Raum stellen: Wenn der Kapitalismus scheitert, dann an den natürlichen Grenzen des Planeten. Nicht an den Intellektuellen, nicht an den Managern.

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