In diesem Beitrag mache ich einen Sprung von Philosophie und Kunst zur Psychologie, und zwar zu Abraham Maslow. Jedenfalls möchte ich in diesem Beitrag nochmal auf Maslow eingehen, um seine Gedanken im Kontext der Kreativitätsforschung zu beleuchten und sie in Bezug zur Philosophie zu setzen.
Maslow dürfte am bekanntesten durch seine Bedürfnispyramide geworden sein, seine Forschungen gehen aber noch viel weiter. Als Pionier der transpersonalen Psychologie hat er die Psyche des Menschen nicht nur dahingehend untersucht, wie sie krank und unglücklich werden kann, sondern insbesondere auch wie sie außerordentliche Gesundheit und Heiterkeit erlangen kann. In diesem Kontext gibt es für Maslow auch eine wesentliche Unterscheidung, nämlich die zwischen Defizitbedürfnissen und Wachstumsbedürfnissen. In der Bedürfnispyramide sind alle Stufen bis zur Selbstverwirklichung an einem Mangel orientiert. Erst darüber hinaus gibt es Bedürfnisse des Wachstums, d.h. Bedürfnisse der Selbstverwirklichung im weitesten Sinne (Erkenntnis, Liebe, Sinn, schöpferisch tätig sein, etc.…) und der Transzendenz. Der Mensch befindet sich in einem lebenslangen Prozess der die Selbstaktualisierung zum Ziel hat.
„Wir dürfen den Menschen nicht nur als das sehen, was er ist, sondern müssen erkennen, wie er sein kann.“
In seinem Text zur Kreativität bei selbstverwirklichenden oder -aktualisierenden Menschen muss er zunächst konstatieren: „Ich musste meine Vorstellungen von Kreativität erstmals ändern, als ich begann, Menschen zu studieren, die absolut gesund, hochentwickelt, gereift und selbstverwirklichend waren.“ Er konnte keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Kreativität und Gesundheit entdecken. So gab es ja auch in der Vergangenheit Künstler oder Dichter, wie van Gogh etwa, die psychische Störungen hatten und dennoch in ihrer Domäne sehr kreativ waren. Dennoch nimmt er eine Kovarianz von Gesundheit und Kreativität an. Kreativität betrachtet er als „universelle Erbe eines jeden menschlichen Wesen“.
Denn Maslow musste sich erst einmal von der Vorstellung lösen, dass Kreativität nur auf Kunst, Dichtung, Musik etc. beschränkt ist. Durch seine Forschung hat er Leute kennengelernt, die auch auf ganz anderen Ebenen kreativ sind, z.B. eine Hausfrau: „ungebildet, arm, eine Vollzeit-Hausfrau und Mutter, die keine dieser konventionellen kreativen Dinge tat und trotzdem eine wunderbare Köchin, Mutter, Frau und Hausfrau war. Mit wenig Geld war ihr Haus irgendwie immer schön. Sie war die perfekte Gastgeberin. Ihre Mahlzeiten waren Festessen. Ihr Geschmack in Wäsche, Silber, Glas, Geschirr und Möbeln war makellos. Sie war originell, neuartig, genial, unerwartet und erfinderisch auf all diesen Bereichen.“ Kreativität erstreckt sich also auf alle menschlichen Bereiche und nicht nur auf die bekannten Domänen: „Ich lernte von ihr und von anderen wie ihr, dass eine erstklassige Suppe kreativer ist, als ein zweitklassiges Gemälde …“
Daher unterscheidet Maslow zwischen einem Talent, d.h. einer spezifischen Fähigkeit Kreatives hervorzubringen und „selbstverwirklichender schöpferischer Kraft“ die der Persönlichkeit entspringt, und die sich in vielen Bereichen äußern kann. Wesentliches Kriterium ist, dass man der Welt spontan und unvoreingenommen, wie ein Kind, begegnen kann. Dazu gehört auch, dass Unbekannte nicht vorschnell zu kategorisieren und das Wagnis auf das Rätselhafte als Rätselhaftes einzugehen, nicht davor wegzulaufen und das (vorläufige) Nichtwissen auszuhalten.
Verschiedene Arten von Kreativität
Die wichtigste Unterscheidung, die Maslow trifft ist jedoch die zwischen primärer, sekundärer und integrativer Kreativität. Die primäre Kreativität besteht in einem Rückgriff auf die unbewussten Ressourcen, indem man aus der Tiefe seines Selbst schöpft. Hier geht es darum, in Kontakt mit der verborgenen Intelligenz zu kommen, aus der heraus man frei, spielerisch und poetisch kreativ wird. Primäre Kreativität kann dann zustande kommen, wenn sie sich von der Rationalität und der Bewertung befreit und wenn sie auf den Fluss des Seelischen vertraut. Es geht hier um die ewige Möglichkeit des Anfangens: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, wie Hesse wusste. In diesem Sinne ist primäre Kreativität das Herausströmen eines positiven Impulses zum Schaffen. Primäre Kreativität findet sich eher wieder in der Improvisation denn in einer Symphonie, eher im Battlerap denn im Studiotrack, eher in der Skizze denn im Gemälde.
Sekundäre Kreativität hingegen ist die Kritik nach der Schöpfung: „Zweitens braucht das großartige Werk nicht nur den Augenblick, die Inspiration, die Gipfelerfahrung, es braucht auch harte Arbeit, langes Training, erbarmungslose Kritik, perfektionistischen Standard. In anderen Worten siegt das Vorsätzliche über dem Spontanen, siegt die Kritik über totaler Akzeptanz, siegen gründliche Gedanken über Intuition, siegt Vorsicht über Wagemut, siegt Realitätsprüfung über Fantasie und Imagination. Jetzt kommt die Frage: »Ist das wahr?« »Wird es vom Anderen verstanden werden?« »Ist seine Struktur vernünftig?« »Hält es dem Test der Logik stand?« »Wie wird es in der Welt ankommen?« »Kann ich es beweisen?«“
Integrativ wird die Kreativität dann, wenn sie primäre und sekundäre Prozesse vereinigt. Hier kommen dann wirklich wertvolle Werke zustande. Sei es in der Kunst, der Philosophie, der Wissenschaft oder der Musik etc. — ganz dem berühmten Zitat Edisons gemäß: „Genie ist 1% Inspiration und 99% Transpiration“.
Nietzsche | Hundertwasser | Platon | Schumpeter | Maslow | Oscar Wilde
Neurobiologie der Kreativität | Was ist Kreativität? | Überblick Kreativitätstechniken