„Alle Kunst ist völlig nutzlos.“
Dieses Zitat findet sich als finaler Satz im Vorwort zum Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ von Oscar Wilde. Es ist übrigens der einzige Roman, den er je geschrieben hat. Dort stellt er thesenhaft einige Sätze in den Raum, welche über das Wesen der Kunst reflektieren. Das habe ich zum Anlass genommen, mir einige Gedanken zum Verhältnis von Kreativität und Kunst zu machen.
In einem anderen Blogartikel hatte ich schon einmal die Bemerkung anklingen lassen, dass es eine starke Bedeutung hat, in welchem Kontext Kreativität stattfindet und zu welchem Zweck. Die Kunst als ein besonderes Feld, eine eigene Handlungs- und Kommunikationssphäre mit eigenen Regeln und Riten, fällt natürlich mit unter die Betrachtungen über Kreativität und wie sie verstanden wird. So können wir an der Kunst auch wunderbar erkennen, wie die Wertung eines kreativen Kunstwerks als kreativ von den Betrachtern und ihrem Zeitgeist abhängig ist. Zum Beispiel ist die Mona Lisa erst seit vergleichsweise kurzer Zeit das bekannteste Gemälde der Welt. Über einen langen Zeitraum war es die Transfiguration von Raffael. Wer hat dieses Bild heute noch vor Augen?
Zwecksetzungen in der Kunst
Aber was haben Gemälde für einen Sinn? Lange Zeit hatten sie die Aufgabe, religiöse Szenen und historisch bedeutsame Ereignisse wiederzugeben, natürlich immer in einem affirmativen Sinn. Es ist erst seit kurzer Zeit so, dass ein Duchamp ein Urinal in eine Ausstellung stellen kann und das ebenfalls als Kunst gewertet wird. Aber stimmt dann die Aussage von Oscar Wilde, dass alle Kunst völlig nutzlos ist? Kunst ist sicherlich die Domäne des Menschen, in der die künstlerische Freiheit äußerst wichtig ist. Eine Freiheit, die sich an vorgegebene Zwecke bindet, ist keine wirkliche Freiheit.
Es gibt aber die Möglichkeit, dass sich jemand frei dazu entscheidet bestimmte Zwecke zu bedienen. Was ist dann? Ist die Mona Lisa nutzlos? Ist Raffaels oder Dalis Kunst zweckfrei? Ist Kunst, die im Sinne einer Ideologie hergestellt wird, wie etwa zur NS-Zeit oder im Sozialismus der DDR, automatisch unkünstlerisch? Kann man dann überhaupt von Kreativität als eines freiheitlichen Aktes, der etwas aus dem Nichts schöpft, sprechen?
Wenn wir andere Domänen des Menschen betrachten, etwa die Wissenschaft, können wir auch hier durchaus kreative Leistungen erkennen. Das Paradebeispiel dafür ist natürlich Einstein mit seiner Relativtätstheorie. Wie auch Csíkszentmihályi in seinem Buch „Kreativität“ deutlich herausstellt, ist die Kenntnis der Regeln einer gewissen Domäne notwendige Voraussetzung um sinnvoll kreativ werden zu können. Kreativität ist keine Schöpfung aus dem Nichts in dem Sinne, dass sie etwas in das Sein ruft, das vorher nicht da war. Das würde das grundlegende Gesetz der Thermodynamik brechen, dass sich Energie nur umwandelt, nie aber entsteht. Nein, Kreativität ist eine Schöpfung aus dem Nichts in dem Sinne, dass sie etwas so noch nie dagewesenes erschafft. Kreativität ist immer nur im Reich der Formen möglich. Sie ist eine Neuanordnung von Farben, Tönen, Wörtern, mathematischen Formeln und vielem mehr. In dem Wörtchen „Neu“ ist die Schöpfung enthalten.
Das Verhältnis von Kreativität und Kunst
Auch wenn man sich moderne Methoden zur Initiierung von kreativen Prozessen anschaut, wie zum Beispiel Design Thinking, über welches in diesem Blog schon ausführlich geschrieben worden ist, findet sich als wesentliche Prämisse, dass Scheitern erlaubt sein muss. Selbst wenn also ein bestimmter Zweck durch Kreativität erreicht werden soll, muss zunächst einmal das zweckfreie, wilde Assoziieren möglich sein. Erst danach kann man sortieren und schauen, wie man selbst vermeintlich absurde Ideen implementieren kann.
Genauso verhält es sich mit ideologischer Kunst. Natürlich braucht es Kreativität um ein Gemälde im Sinne etwa des realen Sozialismus zu schaffen, aber ob das dann tatsächlich nutzlos, d.h. Kunst ist, hängt von Ort, Zeit und Kontext der Betrachtung ab. Jedenfalls wenn man der Definition von Oscar Wilde folgt, dass alle Kunst völlig nutzlos ist. Dann könnte man aber die Betrachtungen über Kreativität meines Erachtens relativ sauber von der Domäne der Kunst trennen: Kreativ kann man auch im Rahmen des Zwecks werden, aber sobald ein bestimmter Zweck erreicht werden soll, handelt es sich nicht mehr um Kunst, aber immer noch um Kreativität.
Bewunderung als einziger Bezugspunkt von Kunst
„Wir können einem Menschen verzeihen, daß er etwas Nützliches gemacht hat, solange er es nicht bewundert. Die einzige Entschuldigung dafür, daß einer etwas Nutzloses gemacht hat, ist, daß man es sehr bewundert.“
Nutzlose Kreativität, also Kunst, hat als einzige Rechtfertigung — Wilde spricht sogar von Entschuldigung — dass sie bewundert wird. Trifft die Bewunderung jedoch Kreativität, welche diese nicht als Rechtfertigung braucht, da sie schon nützlich ist, ist sie ein Übermaß und daher unschicklich. Zweckgerichtete Kreativität hat seinen Mehrwert eben dadurch, dass es den Zweck erfüllt. Hier braucht es keine Bewunderung, denn die Erfüllung des Zwecks ist ihr Bezugspunkt. Dadurch, dass die Kunst keinen Zweck erfüllt, hat sie die Bewunderung als einzigen Bezugspunkt, durch den sie existieren kann.
Nietzsche | Hundertwasser | Platon | Schumpeter | Maslow | Oscar Wilde
Neurobiologie der Kreativität | Was ist Kreativität? | Überblick Kreativitätstechniken